Antifaschismus 2.0

Verschwörungstheorien und Faschismus im Web 2.0

  • Schrift vergrößern
  • Standard-Schriftgröße
  • Schriftgröße verkleinern
Start rechte Esoterik Neuschwabenland Die Hintergründe des Neuschwabenland-Mythos

Die Hintergründe des Neuschwabenland-Mythos

E-Mail Drucken PDF
Benutzerbewertung: / 98
Schwach Perfekt

324447 "Hier stehen 2 Dinge voreinander.
Der R7
(gemeint ist der in manchen wkw-Gruppen viel gepriesene „Reichsbrief Nr. 7“, ein von "Reichsdeutschen" vertriebenes nazi-esoterisches Pamphlet - d. Red.)

...der uns alle hier,alle
Deutschen,als
etwas Besonderes hinstellt.
Und der alles totschlagende Mainstream,der
das Gegenteil
suggestiert.Globalisierung,alles ist
gleich,viele noch gleicher als gleich."

(W03 Gruppe *!!!!Es reicht WIRKLICH!!!!!* )

Mit der SS auf der Suche nach der eigenen Größe und Göttlichkeit

Der Neuschwabenland-Mythos ist Teil eines Mythenkreises, der weitestgehend auf Theorien und Vorstellungen aus dem Dunstkreis einiger SS-Männer zurückgeht und im Kern eine Fortschreibung der okkulten Weltanschauung Heinrich Himmlers darstellt, deren (pseudo-)„wissenschaftliche“ Vertiefung und Untermauerung er durch die Arbeiten seiner SS-Forschungseinrichtung „Ahnenerbe“ zu erreichen versuchte.

Es handelt sich also um originär nationalsozialistisches Gedankengut, das zu Recht auch als „Nazi-Esoterik“ bezeichnet wird. Diese beruft sich auf das vermeintliche „Geheimwissen“ einer fiktiven arischen Urkultur, das durch die jüdisch-christliche Herrschaft verdrängt worden sei.

In ihrem Mittelpunkt steht der Arier-Mythos, der besagt, dass die Deutschen Abkömmlinge einer übermenschlichen Edelrasse seien, der ältesten und überlegensten der Erde, auf die sich alle Hochkulturen zurückführen liessen (und die natürlich nicht „vom Affen“ abstamme, sondern außerirdischen bzw. göttlichen Ursprungs sei).

Dieses Konzept entwickelte sich, nachdem man, in Folge der Entdeckung der Verwandtschaft der indogermanischen Sprachen Ende des 18. Jahrhunderts, anfing über ein indogermanisches Urvolk zu spekulieren. Anknüpfend an den indischen Mythos vom heiligen Berg Meru, der am fernen Nordpol liege, entwickelten sich Spekulationen über eine Herkunft dieses Urvolks aus dem hohen Norden, die mit antiken griechischen Legenden über die sagenhaften Länder Hyperborea, Thule und Atlantis verknüpft wurden.

Das einschlägige Schrifttum wurde sowohl von Himmler als auch von Hitler begeistert verschlungen. Himmler schickte später SS-Expeditionen auf die Suche nach den Spuren vorzeitlicher arischer Hochkultur unter anderem nach Island, Tibet und in die bolivianischen Anden.

Bemerkenswert im Zusammenhang mit dieser Art von „Geschichtsforschung“ ist das sowohl von Himmler als auch von Hitler wiederholt geäußerte Mißtrauen gegen „Schulweisheit“ und exakte Wissenschaft sowie die von ihnen vertretene Vorstellung, die „wahren“ Zusammenhänge seien „intuitiv“ zu erfassen. Diese Einstellung, die damals „intuitiven“ Spinnern wie Wiligut und Hörbiger zu höchsten Ehren verhalf, ist auch heute noch der gemeinsame Nenner zwischen alternativen „Wahrheitssuchern“ und „Infokriegern“ aller Fraktionen: auf der Suche nach der „Wahrheit“ hält man die eigene Intuition allemal für zuverlässiger als die „offiziellen“ Lehrmeinungen, die als manipuliert angesehen werden. Dieser Rückfall in voraufklärerische Denkmuster bildet den Wesenskern der verschwörungstheoretischen Weltanschauung heute wie damals. Das wird dann als „Mut zu eigenständigem Denken“ verkauft: wahr ist und muss sein, was mir „gefühlsmäßig“ einleuchtet. Danach geht es nur noch darum, Belege für diese einmal gefundene „Wahrheit“ zu finden oder zu konstruieren.

Erzfeind und Gegenspieler der arischen Kulturschöpfer sind nach der Überzeugung der Nazi-Esoteriker die Juden: sie versuchen die arische Rasse durch Rassenmischung „herabzuzüchten“ und damit zu schwächen; voller Hass und Verachtung für die hohen Ideale der Arier versuchen sie, die ihrerseits keine Ideale kennen, sondern von schnödem Materialismus beseelt sind, ihre globale Dominanz über das von ihnen beneidete vorgeschichtliche „Herrenvolk“ durchzusetzen. Der Kampf gegen die „jüdisch-bolschewistische Finsternis“ wird als die historische Mission der arischen „Lichtbringer“ gesehen.

Dieser Mythos bildete die geistige Grundlage für den nationalsozialistischen Vernichtungsfeldzug gegen die Juden. Daran sollte man denken, bevor man sich vorschnell dazu hinreißen lässt, heutige Vertreter der Nazi-Esoterik als harmlose Spinner zu belächeln.

Der Kampf geht weiter

Einige Nazi-Nostalgiker hielten diese Weltanschauung, zunächst unbemerkt von einer breiteren Öffentlichkeit, auch nach dem Ende des Dritten Reiches am Leben.

In den 50er Jahren gründeten zwei ehemalige SS-Offiziere, Wilhelm Landig (1909 – 1997) und Rudolf J. Mund (1920 – 1985), in Wien einen esoterischen Zirkel, der sich der Pflege dieses Gedankenguts widmete. Als Grundlage dienten unter anderem die Werke von Julius Evola, Hermann Wirth, Guido von List, Lanz von Liebenfels, Edmund Kiß und Otto Rahn, die alle dem geistigen Umfeld von Himmlers SS-Forschungsgemeinschaft „Ahnenerbe“ zuzurechnen sind.

Mund trat 1958 dem ariosophischen Neutemplerorden ONT bei, einem rassistischen Ritterorden, dessen dualistische Lehre um den ewigen Kampf zwischen blonden arischen Heroen und minderwertigen Tiermenschen kreist („Sodomsäfflinge“ oder „Tschandalen“ genannt). 1979 stieg er zum Leiter des Ordens auf. Landig pflegte weltweit enge Kontakte mit führenden Neonazis und engagierte sich politisch in der internationalen neofaschistischen Bewegung ESB und in der rechtsextremen World Anti-Communist League (WACL).

Ein Mitglied von Landigs esoterischem Zirkel, Erich Halik, reagierte bereits Anfang der 50er Jahre auf die sich weltweit häufenden UFO-Sichtungen mit der in einer Reihe von Artikeln in der Zeitschrift „Mensch und Schicksal“ vertretenen These, dass es sich bei den UFOs in Wirklichkeit um reichsdeutsche Luftschiffe handle, die von geheimen polaren Stützpunkten aus operierten.

1971 begann Landig mit der Publikation einer Romantrilogie, in die er die ganze Bandbreite der Nazi-Esoterik einarbeitete und die in Neonazi-Kreisen Kultstatus erreichte. Ausgangspunkt der verwickelten und mit endlosen esoterischen Erörterungen hoffnungslos überfrachteten Handlung des ersten Bandes „Götzen gegen Thule“ ist ein geheimer unterirdischer Stützpunkt im arktischen Kanada, wo eine esoterische SS-Elite, ausgestattet mit allerlei gegen Kriegsende noch heimlich geretteter deutscher Hochtechnologie, darunter auch diverse Flugscheibenmodelle, das Ende des zweiten Weltkrieges übersteht und, unterstützt von einer weltweiten Gemeinschaft von Eingeweihten aus allen vermeintlich von den Ariern abstammenden Völkern den Kampf fortsetzt, der hier vor allem als ein mit magischen Mitteln geführter Kampf zweier gegensätzlicher spiritueller Prinzipien, von Licht und Finsternis, geschildert wird. Die dunkle, böse Seite wird verkörpert durch die Juden und ihre Werkzeuge: Freimaurer und internationale Hochfinanz.

Die Vorstellung von einer unter der Erdoberfläche verborgenen esoterischen SS, die mit UFOs den edlen Kampf gegen die Verschwörung des Weltjudentums fortsetzt, wurde nach der Publikation von Landigs Buch von dem nach Kanada emigrierten deutschen Neonazi Ernst Zündel im Laufe der 70er Jahre in mehreren Publikationen seines Samisdat-Verlages aufgegriffen und weiterentwickelt, wobei er die deutsche Basis allerdings am Südpol lokalisierte, im antarktische Territorium „Neuschwabenland“, das 1938/39 von einer deutschen Polarexpedition erforscht und für Deutschland reklamiert worden war. In Zündels Publikationen wurde die Story außerdem angereichert mit Hitlers Flucht und Weiterleben in der geheimen Polarbasis, die Entdeckung eines Zugangs zur Inneren Erde (die Erde wird als hohl und auf der Innenseite bewohnbar angesehen, eine Vorstellung, die schon von Himmler und Hitler geteilt wurde) sowie die Unterstützung durch Außerirdische aus anderen Galaxien, die die Erde schon früher besucht haben und die eigentlichen Stammväter der Arier sind. Die amerikanische Antarktis-Mission „Highjump“ 1946-47 wird als gescheiterter Angriffsversuch der Alliierten auf die deutsche UFO-Festung interpretiert.

Landig griff diese Ideen seinerseits auf und beschreibt im zweiten Band seiner Trilogie, „Wolfszeit um Thule“ (1980) den Umzug seines geheimen Stützpunktes von der Arktis nach Neuschwabenland. Der Titel Wolfszeit bezieht sich auf den Wolf Fenrir aus der nordischen Mythologie, der für das Chaos und die Dunkelheit steht, in die, in Landigs Augen, die Welt geraten ist durch den tragischen Untergang des Dritten Reiches und die daraus folgende schrittweise Etablierung einer alle individuellen und ethnischen Unterschiede und Besonderheiten einebnenden, alles vereinheitlichenden, seelenlosen, materialistischen One-World-Regierung gemäß den Plänen der von Juden geleiteten Geheimelite der Hochfinanz.

Aber der Kampf geht weiter: unter dem Zeichen der Schwarzen Sonne (als Erinnerung an die vergessene Urtradition des Nordens) bereitet die arische Elite in Neuschwabenland verborgen den Tag vor, an dem die deutsche Jugend reif sein wird für den bevorstehenden Endkampf gegen die multikulturelle Gleichmacherei des jüdisch-amerikanischen Materialismus und die von ihm hervorgebrachte seelenlose Wohlstandsgesellschaft, zu dem Landig sie in seinem dritten Band „Rebellen für Thule“ (1991) mittels ausschweifender Vorträge über die arische Ur-Heimat Atlantis-Thule und ihre nordischen Ur-Ideale ermutigt, die er einen charismatischen Lehrer vor seiner gebannt lauschenden Klasse halten lässt. In diesem Buch entfaltet er auch, ausgehend von der (angeblich arischen) sumero-babylonischen Kosmologie und dem Gilgamesch-Epos, die Theorie von der außerirdischen Herkunft der Arier aus dem Sonnensystem Aldebaran.

Nazis from Outer Space

Diese Vorstellung wurde seit 1993 mit großem Erfolg von Jan Udo Holey popularisiert, der seine ersten Bücher unter dem Pseudonym Jan van Helsing veröffentlichte.

Dabei übernahm er die Inhalte einiger bis dato praktisch nur in rechtsextremen Insider-Kreisen bekannten Broschüren, die Anfang der 90er Jahre von dem Autoren-Duo Norbert J. Ratthofer und Ralf Ettl veröffentlicht worden waren und in denen die schon bekannte Story von Nazi-UFOs und der arischen Babylon-Aldebaran-Connection erweitert wurde um allerlei Phantastereien über freie Energie (Vril-Kraft) und Geheimgesellschaften (wie Sebottendorffs Thule-Gesellschaft, der hier eine fiktive Templer-Filiation angedichtet wird) als heimliche Drahtzieher hinter den Kulissen der Weltgeschichte. Die beiden gehörten zum Wiener Zweig der „Tempelhofgesellschaft“, einer pseudotemplerischen neognostisch-marcionitischen Sekte, die aus einer älteren antisemitischen Gruppierung namens „Erbengemeinschaft der Tempelritter“ (Societas Templi Marcioni) hervorgegangen ist. Die marcionitische Gnosis erlebte ihre Blütezeit im 2. und 3. Jahrhundert. Sie vertrat einen ausgeprägten Judenhass auf der Grundlage einer extrem dualistischen Kosmologie, die Christus als Menschwerdung des wahren Gottes dem bösen jüdischen Demiurgen Jahwe als Gegenspieler gegenüberstellt. Dieser rückt als „El Shaddai“ praktisch in die Rolle des Teufels, womit die Juden zu Dienern des Teufels erklärt werden. Bei Ratthofer/Ettl ist Christus natürlich arisch-aldebaranischer Herkunft und die Deutschen sind sein auserwähltes Volk in dem kosmischen Kampf zwischen Licht und Finsternis. Diese antisemitische Mythologie wird als Geheimlehre der Templer ausgegeben. Holey übernahm sie eins zu eins in seinen Büchern, deren großer Erfolg für eine entsprechende Verbreitung dieses Gedankenguts sorgte. Die Wiener Tempelhofgesellschaft wurde übrigens inzwischen aufgelöst; einige ehemalige Mitglieder pflegen ihre spezifischen religiösen Vorstellungen weiter in einer Gruppierung namens Causa Nostra (C09) .

Der „bedeutendste Coup des Rechtsextremismus nach 1945“ (G08, S.170)

Seit 1993 hat Jan Udo Holey (aka Jan van Helsing) diese Nazi-UFO-Alien-Mythologie in einer Reihe von Bestsellern verarbeitet und mit allerlei Verschwörungstheorien auf der Grundlage der „Protokolle der Weisen von Zion“ zu einem explosiven antisemitischen Cocktail gemixt. Zwar hat er das meiste lediglich von anderen antisemitischen, ariosophischen und rechtsextremen Autoren übernommen, aber die spektakulären Verkaufserfolge seiner Bücher verschafften dem Arier-Mythos und dem Mythos von der jüdischen Weltverschwörung eine seit dem Ende des Dritten Reiches nicht mehr gekannte Massenwirksamkeit, was nur den Schluss zulässt, dass es ein verbreitetes, tiefsitzendes Bedürfnis nach derartiger Literatur zu geben scheint.

Mit seiner Aufforderung, sich statt des kritischen Verstandes lieber der Intuition zu bedienen („Verlassen Sie sich nicht auf Ihren Verstand, der ist das Werkzeug der Illuminati. Verlassen Sie sich auf Ihre Intuition“ (H03) ) offenbart er die antiaufklärerische, irrationalistische Epistemologie, die typisch ist für Verschwörungstheoretiker, Infokrieger, Truther und sonstige Sektierer aller Art, die (übrigens in bester faschistischer Tradition) das Primat von Instinkt und Intuition als Mittel zu „höherer“ Erkenntnis postulieren und das Ausschalten des Verstandes als „Öffnung für Neues“ glorifizieren:

„Und versuchen wir einmal, das Gesagte nicht mit einer bestehenden Ansicht oder der Meinung eines anderen zu vergleichen, sondern gehen wir einfach einmal nach unserer Intuition, unserem Gefühl und spüren selbst, ob diese Informationen stimmig sind.“ (H03, Vorwort)

Hier wird die ganze Tradition der Aufklärung sanft lächelnd in die Tonne getreten zu Gunsten eines radikalen Subjektivismus, der offenbar von vielen Menschen als befreiend empfunden wird: Wahr ist, was sich für mich gut anfühlt. Wahr ist, was meinen Bedürfnissen entspricht.

Und leider entsprechen rechtsextreme Mythen offenbar den Bedürfnissen vieler Menschen: dem Bedürfnis nach Sicherheit, Identität, Lebenssinn, Gemeinschaftsgefühl, Zusammengehörigkeit, Verklärung des Eigenen und Verteufelung des Fremden, nach einer positiven Sicht der eigenen Vergangenheit, nach einfachen, kohärenten Erklärungen für das immer kompliziertere Weltgeschehen, nach einer klaren Trennung von Gut und Böse und nach Sündenböcken, denen man die Schuld am eigenen Unglück zuschreiben kann.

In Social Networks wie wkw artikulieren sich diese Bedürfnisse und die damit zusammenhängenden Gedanken. Und da tun sich oft Abgründe auf.

Der Neuschwabenland-Mythos und andere Versatzstücke der Nazi-Esoterik gehören dabei leider zum festen Repertoire, das vom wkw-Support offenbar nicht beanstandet wird und somit fröhlich weiterverbreitet werden kann. Kritiker werden üblicherweise kollektiv niedergeschrien und aus den einschlägigen Gruppen verbannt. Heilsbedürfnisse sind eben meist stärker als die Vernunft.

Man sollte sich jedenfalls darüber im Klaren sein, dass die Nazi-UFO-Geschichten mehr sind als harmlose Unterhaltung, dass der Neuschwabenland-Mythos untrennbar verwoben ist mit dem Arier-Mythos und dem
Weltverschwörungsmythos, den zentralen Ideologemen des Nationalsozialismus also, und dass eine Weltanschauung und ein politisches Programm dahinterstehen, wenn Infokrieger wie Holey derartige Geschichten erzählen.

Zitate:

C09 www.causa-nostra.com
G08 Eduard Gugenberger, Franko Petri, Roman Schweidlenka, Weltverschwörungstheorien. Die neue Gefahr von rechts, Wien München 1998
H03 Helsing, Jan van: Geheimgesellschaften 1 + 2"
W03 www.wer-kennt-wen.de

weitere Quellen:

G08

G09

S13

Zuletzt aktualisiert am Sonntag, den 11. Juli 2010 um 21:28 Uhr

headline

Die Zahl linker Gewalttaten sei in 2009 fast doppelt so hoch gewesen wie die Zahl rechter Gewalttaten und damit erstmals höher als die der Rechten. Das wurde vor einigen Wochen gemeldet.

Inzwischen liegen detaillierte Zahlen vor.

Weiterlesen...

Werbung