Vorbemerkung:
Wir haben ein Schreiben einer Hamburger Rechtsanwaltskanzlei vom 23.8.2010 erhalten. In diesem Schreiben werden wir darauf hingewiesen, dass Patrick P. "sich vor einiger Zeit von der (Neo-)Nazi-Szene losgelöst und erkannt hat, dass er sich menschlich, politisch und moralisch auf einem Irrweg befunden hat."
In dem Schreiben heißt es weiter, dass seine Rückkehr in die Mitte der Gesellschaft natürlich auf Probleme stößt, wenn sich im Internet zahlreiche Berichte zum Teil mit Foto über seine frühere Tätigkeit finden.Herrn P. sei bewusst, dass man sich "seiner Vergangenheit nicht entledigen kann" andererseits mache die Präsenz derartiger Berichte es einem Aussteiger auch nicht gerade einfach.
Die über Herrn P. oder anderswo dargestellten Fakten werden in dem Schreiben nicht bestritten. Es werden auch keinerlei juristische Schritte angedroht oder sonstwie Konsequenzen angekündigt. Das Schreiben ist in einem überaus freundlichen auf Kooperation ausgerichteten Ton geschrieben und es wird angefragt, ob wir evt. behilflich sein könnten, Kontakte zu anderen Site-Betreibern herzustellen.
Angesichts des Inhalts und der Form des Schreibens haben wir nun erstmal den Namen der hier beschriebenen Person anonymisiert. Selbstverständlich wollen wir einem Aussteiger seinen Weg in ein demokratisches Leben nicht erschweren. Wir werden nun versuchen, weitere Informationen über Herrn P. zu erhalten, um die Informationen in dem Brief zu verifizieren oder zu falsifizieren.
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Unscheinbar, höflich und strebsam – so dürfte Patrick P. von vielen seiner MitstudentInnen wahrgenommen werden. Doch hinter der Biedermann-Fassade des Studenten der Rechtswissenschaft verbirgt sich einer der aktivsten Nazis aus der Landeshauptstadt. [1] Für die extrem rechte NPD und die sogenannten „Freien Kameradschaften“ ist er die Kontaktperson in Erfurt – ein Kader also, wie er im Buche steht.
Patrick P. – der stille Student?
Am 21. Mai 2005 wurden AntifaschistInnen das erste Mal auf ihn aufmerksam. Neben zwei weiteren Rednern sprach Patrick P. in Ohrdruf vor 50 Nazis auf einer Kundgebung unter dem Motto „Vereint für soziale Gerechtigkeit".[2] Im selben Jahr tauchte er in Arnstadt auf einer Kundgebung unter dem Motto „Nationalisten gegen Kinderschänder“ auf. In einem Redebeitrag forderte der angehende „Rechtswissenschaftler“ die „Todesstrafe für Kinderschänder“. Die Marschrichtung scheint seitdem klar: Soziale Themen sollen verstärkt aufgegriffen werden, um darüber extrem rechte Ideologie zu transportieren und sie so Schritt für Schritt gesellschaftsfähig zu machen.
In diesem Zusammenhang ist auch die Zeitung „Bürgerstimme! – Freies Mitteilungsblatt für die Region Erfurt-Arnstadt“ zu sehen, als deren presserechtlich Verantwortlicher Patrick P. fungiert.[3] Das anfänglich kopierte Faltblatt wird flächendeckend in Briefkästen aber auch an Infoständen der NPD (wie am 20. Oktober in der Erfurter Bahnhofstraße) verteilt und soll alle zwei Monate erscheinen.[4] Mittlerweile wird die Zeitung im Berliner Format[5] gedruckt. Nach eigenen Angaben liegt die Auflage bei 20 000 Stück. Das Problem ist hierbei: Die kostenlose Zeitung ist nur bei sehr genauem Lesen als extrem rechtes Blättchen zu erkennen. Lokales, wie Verbraucherschutzthemen, der sogenannte Gammelfleischskandal, steigende Energiekosten oder die Umstrukturierung der Thüringer Polizei werden thematisiert. Aber auch die Weltpolitik beispielsweise mit antiamerikanischen Floskeln gegen die Außenpolitik der USA ist Gegenstand der nachrichtlich gehaltenen Texte.[6]
Der Unterstützung der Szene kann sich Blattmacher P. offenbar gewiss sein: „Nur durch eine großzügige Spende aus Hessen konnte das Projekt `Bürgerstimme` fortgeführt werden. Die Anschaffung eines neuen Druckers hätte uns sonst überfordert“.[7]
Doch nicht dem „Bürger“, vielmehr der sogenannten „Antikapitalismus-Kampagne“ gibt P.s Postille ihre „Stimme“. Seit dem vergangenen Jahr haben sich Nazis aus Thüringen und angrenzenden Bundesländern zu der Kampagne zusammengeschlossen. Unter dem Motto „Zukunft statt Globalisierung“ machen sie deutlich, was ihr Gegenmodell zu einer globalisierten Welt darstellen soll: die Volksgemeinschaft.
Patrick P., der Regionalbeauftragter der Antikap-Kampagne ist, entwickelte sich im vergangenen Jahr zu einem der maßgeblichen Wortführer völkischer Antikapitalisten in der Region. Am 4. März 2006 tingelten Thüringer Nazis auf einer „Antikapitalistischen Kaffeefahrt“ mit dem Bus durch Bad Salzungen, Ilmenau, Arnstadt und Neudietendorf.[8] Fast überall war P. als Redner zu hören. Einer Gegendemonstrantin aus Ilmenau schrieb er noch im selben Monat einen sechsseitigen offenen Brief in dem er verkündete: „ ... der Nationalsozialismus war gestern. Aber der nationale Sozialismus in den Farben der Völker ist morgen!“.[9] Auf der Auftaktdemonstration der Kampagne am 1. April 06 lief P. – mit einem Handzettel voller Parolen „bewaffnet“ – neben dem Lautsprecher her und skandierte über ein Mikrophon Slogans wie „Nur eine Agenda hat wirklich Zweck, dieses System muss endlich weg“. Die etwa 300 Nazis plapperten es ihm gehorsam nach.
Weitere Demos und Kundgebungen, auf denen der Erfurter Student redete, folgten: Am 1. Mai 2006 auf einer Anti-Kapitalismus-Demo in Magdeburg und am 13. Mai 2006 in Suhl auf einer Kundgebung anlässlich einer Auseinandersetzung, bei der zwei Nazis verletzt wurden. Hingegen musste sein Redebeitrag beim „Thüringentag der nationalen Jugend“ im Mai in Altenburg wegen Zeitmangel ausfallen. Auftritte beim NPD-Open-Air „Rock für Deutschland“ in Gera und beim NPD-Familienfest am 2. September 2006 in Suhl folgten.
Offensichtlich versucht P., der in Erfurt eine Schnittstelle zwischen den sogenannten „Freien Aktivisten (FAE)“ und der NPD bzw. ihrer Jugendorganisation JN darstellen dürfte, sein Studentenleben mit seiner politischen Tätigkeit in Verbindung zu bringen.
Nur durch einen glücklichen Zufall konnte im September ein dreiwöchiges Praktikum des Kameradschaftsaktivisten im Thüringer Landtag verhindert werden.[10] Gemeinsam mit dem stellvetretenden NPD-Vorsitzenden des Wartburgkreises, Patrick Wieschke, hatte er die Ausstellung „Erschossen in Moskau“ im Landtag besucht. Anschließend schmierten beide Nazi-Parolen ins Gästebuch. Dadurch fiel der Sicherheitsabteilung auf, dass P. bereits seit Sommerbeginn eine Praktikumszusage hatte.[11]
Die beiden „Patricks“ aus Erfurt und Eisenach pflegen seit längerem eine intensive Zusammenarbeit. Der eine ist Student der Rechtswissenschaft an der Erfurter Universität. Der andere seit Jahren eine der Thüringer Szenegrößen.[12] Wieschke wurde im Mai 2002 (LG Mühlhausen) wegen Körperverletzung und dem Sprengstoffanschlag auf einen Dönerimbiss zu einer Haftstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Seit seiner vorzeitigen Haftentlassung organisiert er fast schon wöchentlich in ganz Thüringen Nazi-Demonstrationen. Die beiden Patricks besuchen und organisieren auch gemeinsam die sogenannten „Unternehmertreffen“ der NPD, die am 23.9. und 18.10. 2006 im „Alten Fritz“ (Liebknecht-Straße) sowie am 20. Januar 2007 in der Ackerhofstraße/Moritzstraße in Erfurt stattfanden.[13]
Im Februar 2007 rief P. ein „Nationales und soziales Aktionsbündnis Erfurt“ ins Leben, die Internetseite wurde von ihm angemeldet.
Quellen:
[1] P. verwendet die E-Mail-Adresse patrick.pxxxx[@]stud.uni-erfurt.de,Thüringer Allgemeine, 23.02.2007, S.3. „Der stille Student": „P. belegt Seminare zum Wirtschaftsrecht und referiert zur Funktionsfähigkeit des politischen Wettbewerbs in Seminaren. In einem Planspiel zur Weltpolitik spielte er den Vertreter Afrikas."[2] Mobit-Chronologie rechtsextremer Aktivitäten in Thüringen 2005: http://mobit.org/Materialien/Chronik_Rex-Th�ringen-2005.pdf
[3] Vgl. Impressum „Bürgerstimme – Freies Mitteilungsblatt für die Region Erfurt-Arnstadt", Presserechtliche Verantwortung: Patrick P., Seelenbinderstraße 42, 12555 Berlin (Adresse der NPD-Parteizentrale in Berlin Köpenick)
[4] ebenda
[5] siehe http://de.wikipedia.org/wiki/Zeitungsformat
[6] „Bürgerstimme", Ausgabe 5, Seite 4, Artikel „Unmengen an offenen Fragen!"
[7] ebenda
[8] „An einer 'Antikapitalistischen Kaffeefahrt' des Nationalen Widerstandes Westthüringen nahmen ca. 100 Rechtsextreme teil. Zu der Tour mit zwei Bussen, mehreren Privatfahrzeugen und örtlichen BesucherInnen gehörten die Kundgebungen in Bad Salzungen, Ilmenau und Arnstadt.Eine Spontandemonstration in Arnstadt wurde durch die Polizei unterbunden." Quelle: http://mobit.org/Materialien/Chronik_Rex-Th�ringen-2006.pdf
[9] Quelle: „Offener Brief an Frau Dr. Barbara Schramm", Seite 6, März 2006
[10] Freies Wort vom 16.9.2006: „Landtagsverwaltung erstattet Anzeige gegen zwei polizeibekannte Thüringer Neonazis".
[11] Siehe auch Presseerklärung der NPD vom 18.9.2006: „Eklat im Thüringer Landtag".
[12] Weitere Informationen unter: http://de.wikipedia.org/wiki/Patrick_Wieschke
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