Die Frage, ob der deutsche Staat 1945 untergegangen oder ob und wie und in welcher Form er fortbestanden hat, spielt bei der Argumentation der Verfassungleugner immer wieder eine Rolle.
Dabei werden munter unterschiedliche Thesen und Begriffe vermischt, bis die gewünschte braune Soße entstanden ist.
In der Regel wird argumentiert, die BRD sei nicht Rechtsnachfolgerin des Deutschen Reichs und deshalb nicht berechtigt Verträge für Deutschland zu schließen.
Der erste Teilsatz ist sogar richtig. Die BRD kann nicht Rechtsnachfolgerin sein, weil sie nämlich identisch mit dem Deutschen Reich ist, wie nachstehend gezeigt wird.
Am 7. Mai kapitulierte die deutsche Wehrmacht in Reims und endglültig am 8. Mai in Berlin bedingungslos.
Deutsche Institutionen hatten damit keine Macht mehr, die Staatsgewalt auszuüben.
Staatsgewalt ist aber neben dem Staatsgebiet und dem Volk eines der drei Elemente, die einen Staat definieren.
War damit also Deutschland als Staat untegegangen?
Im wesentlichen gab es zwei Untergangstheorien: Die Dismembrationstheorie und die Debellationstheorie.
Erstere besagt, Das Deutsche Reich sei in zwei neue selbstständige Staaten zefallen und dadurch habe Deutschland aufgehört zu existieren. Strittig war hier der Zeitpunkt des Untergangs. War es der 8. Mai 1945 oder war es 1949 - mit der Gründung von BRD und DDR? Wieder andere vertraten die These der Zeitpunkt liege bei 1954 mit der Anerkennung der Souveränität der BRD durch den Deutschlandvertrag und der Erklärung der UdSSR und der DDR über die Souveränität der DDR und wieder andere sahen den Untergang des Deutschen Reiches gar erst 1973 mit dem Grundlagenvertrag besiegelt. (vgl. dazu Schweitzer: Staatsrecht III, 6. Aufl., Rn 629.)
Während sich die Dismembrationstheorie nirgends durchsetzen konnte, wurde die Debellationstheorie später von der DDR vertreten. (dazu: Schweitzer: Staatsrecht III, 8. Aufl., Rn 631 f). Als Untergangsdatum galt der 8. Mai 1945. Mit der Gründung von BRD und DDR seien dann zwei völlig neue Staaten entstanden. Dies hatte dann auch zur Folge, dass sich die DDR nie als Nachfolger oder Folgestaat des Deutschen Reiches sah und damit auch nicht für das beagangene Unrecht verantwortlich erklärte.
Gegen die Debellationstheorie spricht die Tatsache, dass es keine Annexion Deutschlands gab.
In der Berliner Erklärung der Alliiertenn vom Juni 1945 heißt es ausdrücklich:
"Die Regierungen des Vereinigten Königreichs, der Vereinigten Staaten von Amerika, der Union der Sozialistischen Sowjet-Republiken und die Provisorische Regierung der Französischen Republik übernehmen hiermit die oberste Regierungsgewalt in Deutschland, einschließlich aller Befugnisse der deutschen Regierung, des Oberkommandos der Wehrmacht und der Regierungen, Verwaltungen oder Behörden der Länder, Städte und Gemeinden. Die Übernahme zu den vorstehend genannten Zwecken der besagten Regierungsgewalt und Befugnisse bewirkt nicht die Annektierung Deutschlands."
Gegen die Untergangstheorien spricht auch die Tatsache, das es zwar mit der Kapitulation keine deutsche Staatsgewalt mehr gab. Es gab aber sehr wohl das Besatzungsregime, das eine Staatgewalt ausübte.
Die Drei-Elemente-Theorie besagt nicht wer oder wie die Staatsgewalt auszuüben ist und/oder ob und wie sie legitimiert sein muss. Sie muss einfach nur vorhanden sein. Und das war sie zu jedem Zeitpunkt. Es gab in Deutschland kein Machtvakuum.
Damit waren also zu jedem Zeitpunkt alle drei Elemente eines Staates vorhanden.
Konsequenterweise gingen deshalb auch sowohl die Alliierten, als auch die spätere BRD davon aus, dass Deutschland als Staat weiter existierte, allerdings aufgrund des Fehlens staatlicher Institutionen vorübergehend handlungsunfähig war.
Anstelle der Ausübung der Staatsgewalt durch deutsche Institutionen wurde die Staatsgewalt zunächst von den Alliierten und nach nach von deutschen Institutionen zunächst im Auftrag der Alliierten ausgeübt.
Im internationalen Völkerrecht geht man allgemein davon aus, dass der Deutsche Staat seit der Gründung des Norddeutschen Bundes durchgängig existiert hat und bis heute existiert.
Die von den Reichsideologen gerne als "historisches Verfassungsgerichtsurteil" bezeichnete BVerfGE von 1973 zur Frage des Handels mit der DDR, hat daher überhaupt nichts historisches. In Wirklichkeit sagt es nämlich nichts Neues sondern wiederholt das, was in der BRD damals gängige Rechtsmeinung war und was das BVerfG auch in früheren Entscheidungen immer wieder gesagt hatte:
Deutschland als Staat ist zu keinem Zeitpunkt untergegangen. Die BRD kann deshalb nicht Rechtsnachfolger sein, sondern ist identisch. Die BRD erhebt deshalb auch den Anspruch der Alleinvertretung für alle Deutschen.
Dass sich das Territorium der BRD gegenüber dem des Deutschen Reiches verändert hat, ist in diesem Zusammenhang ebenso irrelevant, wie die tatsache, dass sich die Staatsform geändert sowie der Staat einen neuen Namen bekam. Das Rechtssubjekt als solches blieb nach 1945 ebenso das Selbe, wie in all den Jahren seit Gründung des Norddeutschen Bundes auch.
Und in all den Jahren zuvor hatte es auch mehrfach Änderungen bzgl. des Territoriums, der Staatsform und des Namens gegeben. Dennoch war es seit dem und ist es bis heute immer noch der selbe Staat.
Prof. Dr. Heintzen hierzu:
"Identität heißt, dass "Bundesrepublik Deutschland" nur ein anderer Name für ein staatliches Gebilde ist, das vorher Deutsches Reich geheißen hat und das in der Zeit vor dem Deutschen Reich Norddeutscher Bund genannt wurde. Die Identitätsthese postuliert mithin eine seit der Gründung des Norddeutschen Bundes im Jahr 1866 in Deutschland ungebrochene staatsrechtliche Kontinuität - eine Kontinuität, aus der die DDR vergeblich versucht hat auszubrechen."
Weiterführende Literatur:
Werner Frotscher, Bodo Pieroth: Verfassungsgeschichte. 5. Aufl., München 2005, Rn 638ff. ISBN 3-4065-3411-2.
Dr. Wilfried Fiedler, Die Kontinuität des deutschen Staatswesens,Archiv für Völkerrecht
AVR 31 (1993), S. 333-352Uni Saarbrücken
BVerfGE 3, S. 58 ff. (17. 12. 1953); 3, S. 288 ff. (26. 5. 1954); 6, S. 132 ff. (19.2.1957).
BVerfGE 3, S. 288, S. 316 i. V. m. 3, S. 58, S. 89; dazu Bachof, Beamte und Soldaten, DÖV 1954, S. 225 ff. Zur späteren Rechtsprechungslinie des Gerichts vgl. BVerfGE 5, S. 85, S. 126; 6, S. 309; S. 363; 11, S. 150, S. 158; 18, S. 353, S. 354.
Michael Schweitzer: Staatsrecht III. Staatsrecht, Völkerrecht, Europarecht. 8. Aufl., Heidelberg 2004, Rn 612ff. (sowie 6. Aufl. 1997, Rn 629f.). ISBN 3-8114-9024-9.
Matthias Herdegen: Völkerrecht. 4. Aufl., München 2005. ISBN 3-406-53277-2.
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