Mit diesen Fragen befasste sich die jüngste Mitgliederversammlung der LINKE.Mannheim.
Eine dreiköpfige Arbeitsgruppe hatte sich im Vorfeld ausführlich mit dem Thema befasst und Informationen eingeholt. Hieraus war ein Impress - Vortrag entstanden, der als Einstieg in die Diskussion diente.
Im voll besetzten Versammlungsraum in T 6, 23 begrüßte Jürgen Fotsch die Anwesenden und führte in das Thema ein.
Zu Beginn des Vortrags wies Bernd Merling darauf hin, dass sich die Vorbereitungsgruppe einig gewesen sei, dass das Thema weit umfassender und komplexer ist, als man dies an einem Abend behandeln könne. Insbesondere habe man mit dem Begriff "Extremismus" etwas Probleme, weil die derzeit laufende "Extremismusdebatte" in Politik und Wissenschaft eigentlich einen eigenen Vortrag Wert wäre, der vor einer Diskussion über politische Gewalt gehalten werden müsste. Die Gruppe sei sich einig gewesen, dass das häufig vertretene eindimensionale Bild, bei dem die politische Gesellschaft auf einer Linie mit den Endpunkten Linksextremismus auf der einen und Rechtsextremismus auf der anderen Seite abgebildet wird, falsch sei. Vielmehr ist Extremismus die Summe von Einstellungen, Vorstellungen, Gedanken und Zielen, die nicht (nur) am Rande vertreten würden, sondern bis weit in die Gesellschaftskreise hinein, die man gemeinhin als "Mitte der Gesellschaft" verstehe.
Rechte und Linke: Unterschiedliche Ziele
Im Folgenden stellte der Referent die Unterschiede rechter und linker politischer Ziele und Vorstellungen dar. Als entscheidenden Unterschied stellte er heraus, dass linke Politik basierend auf Humanismus und dem Postulat der Gleichheit der Menschen das Ziel sozialer Gerechtigkeit über die Anwendung demokratischer Prinzipien und der Partizipation der Menscen in einer pluralistischen Gesellschaft habe.Demgegebüber steht die von den Rechten angestrebte Volksgemeinschaft mit einer starken Führung, die Pluralismus ablehnt sondern eine weitgehende Übereinstimmung von Zielen und Interessen postuliert und in der die nicht zur Volksgemeinschaft gehörigen Gruppen ausgegrenzt werden. Historisch erheben rechte Richtungen regelmäßig auch den Anspruch der Überlegenheit und Vorherrschaft bestimmter Gruppen gegenüber von den Herrschenden als minderwertig definierten Gruppen.
Hinzu kommen häufig auch eine gewisse Wissenschaftsfeindlichkeit, ein Hang zur Esoterik und eine romantisierende überkommene Vorstellung von Gesellschaft und Rollenverständnis innerhalb der Gesellschaft. Hiermit verbunden ist auch ein Sexismus, welcher der Frau die romantisierend verklärte Rolle von Mutter und treusorgender Ehefrau zuweist, wie sie z.B. aktuell besonders auch von der Vertreterin der Neuen Rechte Eva Herrmann propagiert wird, die seit neuestem die "Nachrichten" des rechtsesoterischen Kopp-Verlages im Internet liest.
Abgrenzung von Radikalismus und Extremismus
Wichtig im Zusammenhang mit Zielen, Interessen und Absichten einerseits und den Mitteln, um diese Ziele zu erreichen andererseits, sei auch die Abgrenzung zwischen Radikalismus und Extremismus. Merling stellte hier die Definition des Bundesamtes für Verfassungsschutz vor:"Als extremistisch werden die Bestrebungen bezeichnet, die gegen den Kernbestand unserer Verfassung - die freiheitliche demokratische Grundordnung - gerichtet sind. Über den Begriff des Extremismus besteht oft Unklarheit. Zu Unrecht wird er häufig mit Radikalismus gleichgesetzt. So sind z.B. Kapitalismuskritiker, die grundsätzliche Zweifel an der Struktur unserer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung äußern und sie von Grund auf verändern wollen, noch keine Extremisten. Radikale politische Auffassungen haben in unserer pluralistischen Gesellschaftsordnung ihren legitimen Platz. Auch wer seine radikalen Zielvorstellungen realisieren will, muss nicht befürchten, dass er vom Verfassungsschutz beobachtet wird; jedenfalls nicht, solange er die Grundprinzipien unserer Verfassungsordnung anerkennt." (Quelle: http://www.verfassungsschutz.de/de/Glossar_FAQ/FAQ/)
Radikalismus ist also die an der Wurzel ansetzende Bearbeitung und Beseitigung gesellschaftlicher Probleme mit dem Ziel gesellschaftlicher Veränderungen und Verbesserungen im Rahmen der bestehenden Verfassungsordnung. Als Linke, die einen grundlegenden Wandel der Verhältnisse in unserer Gesellschaft anstreben ist für uns der Begriff "Radikal" also ein positiver Begriff, zu dem wir uns bekennen, um grundlegende Besserungen in unserer Gesellschaft im Interesse der Menschen in unserem Lande auf der Basis der Menschenrechte und auf dem Boden unserer geltenden Verfassung zu erreichen.
Gibt es Rechtsradikalismus?
Demzufolge stellte Merling die These in den Raum, dass es Rechtsradikalismus gar nicht geben könne, weil es hier den Anspruch, gesellschaftliche Probleme im Interesse der Mehrheit der Bevölkerung von der Wurzel her zu beseitigen, nicht gibt. Der Anspruch der Rechten, die Gesellschaft in ihrem Sinne zu verändern, gipfelt regelmäßig im Extremismus aber nicht im Radikalismus. Denn mit diesen postulierten Veränderungen ist stets der Angriff auf grundlegende Menschenrechte und die in unserer Verfassung verankerten Grundrechte verbunden.Extremismus und Radikalismus bezeichnen jeweils die Summe von Vorstellungen, Ansichten und Zielen. Sie sagen zunächst nichts aus über die Anwendung der Mittel zur Erreichung der Ziele. Extremismus muss nicht per se gewalttätig sein und Radikalismus nicht per se gewaltlos.
Grundsätzlich könnten extremistische Ziele und Vorstellungen - wie die Abschaffung der Verfassung, die Einführung eines faschistischen Staates - auch auf gewaltfreiem Wege z.B. durch Wahlen und Übergabe der Macht im Rahmen der geltenden Verfassung möglich sein. Letztlich war die Machtübergabe an die Nazis 1933 ja auch auf gewaltfreiem Wege erfolgt.
Die Gewaltfrage
Es stellt sich also die Frage, was ist nun Gewalt.Hier zeigte Merling eine Reihe von Fotos unterschiedlicher Gewalt, die in diesem Artikel wiedergegeben sind, um das breite Spektrum dieses Begriffes darzustellen:
- Ein vermummter Steine werfender Demonstrant,
- das ausgebrannte Haus in Solingen nach dem rechtsextremistischen Brandanschlag, bei dem eine türkische Familie ums Leben kam,
- ein Wasserwerfer als Ausdruck staatlicher Gewalt, die durch bestehende Gesetze legalisiert ist,
- eine Blockade linker Demonstranten, um einen Nazi-Aufmarsch zu verhindern, die zweifellos Gewalt darstellt, die durch den Anspruch, Freiheit und Demokratie zu verteidigen, aus Sicht der Blockierer legitimiert ist,
- brennende Barrikaden bei einer Demonstration, die ebenfalls eindeutig Gewalt - eben gegen Sachen - darstellen.
Bereits bei diesen Bildern wird deutlich, dass es durchaus unterschiedliche Grade und Arten von Gewalt gibt und dass Gewalt je nach Gelegenheit und Anlass auch legal oder aus Sicht des Gewalt Anwendenden legitim sein kann.
Selbst das Strafrecht legalisiert Gewalt als Notwehr zur Abwehr eines unmittelbaren gegenwärtigen Angriffs.
Gewalt als politisch motivierte Kriminalität
Nicht legale politisch motivierte Gewalt wird von der staatlichen Gewalt verfolgt und von der Polizei in der Statistik "Politisch Motivierte Kriminalität" (PMK) u.a. nach den Phänomenbereichen PMK rechts und PMK links erfasst.
Merling stellte die Zahlen der PMK-Statistik für 2009 vor. Bemerkenswert bei dieser Statistik ist, dass hier erstmals die Zahl der linksmotivierten Gewalttaten höher ist, als die der rechtsextremistischen.
Doch bei der genaueren Analyse der Zahlen stieß die Vorbereitungsgruppe auf Unklarheiten und Ungereimtheiten, die nicht zu klären waren. Deshalb wurde unser Bundestagsabgeordneter Michael Schlecht gebeten, über die Fraktion diese Fragen klären zu lassen.
Gerade noch rechtzeitig erreichte uns drei Tage vor der Veranstaltung dann die Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Genossin Ulla Jelpke u.a. Diese übertraf unsere schlimmsten Befürchtungen. Die Bundesregierung war in vielen - und gerade auch in den entscheidenden Punkten - nicht in der Lage die Zahlen und deren Zustandekommen zu erklären.Wasserwerfer
Zu den Gewalttaten werden auch Widerstandshandlungen bei Demonstrationen gerechnet. Dazu zählt beispielsweise das gegenseitige Unterhaken beim Wegtragen von einer Sitzblockade.
So ist die Zahl der Widerstandsdelikte auf der linken Seite auch gravierend höher, als auf der rechten.
Opfer dieser "Gewalttat" gibt es hier freilich nicht. Und so dürfte diese Tatsache auch mit ein Grund sein, dass die Zahl der Opfer durch linksmotivierte Gewalt wesentlich niedriger ist als die Zahl der Opfer durch rechtsmotivierte Gewalt.
Äpfel und Birnen - Körperverletzung und Sachbeschädigung
Ebenfalls nicht erfasst und somit nicht auswertbar ist die Schwere der Gewalt gegen Menschen, also Körperverletzung und Tötung. So wird ein Kratzer auf der Backe eines Polizisten, der im Rahmen eines Demo-Gerangels entsteht, ebenso als Körperverletzung gezählt, wie eine Tat, bei der Nazis einen Menschen durch die Stadt hetzen und brutal krankenhausreif prügeln, oder einem schlafenden 13-jährigen Mädchen auf einem Zeltplatz einen Klappspaten über den Schädel hauen. Klar ist, dass solche Taten stets extremistisch motiviert sind, weil sie menschenveachtend sind und gezielt und bewusst durchgeführt werden.
Hier lässt sich nur aufgrund dokumentierter Fallschilderungen und aufgrund der von der Bundesregierung eingeräumten Zusammenhänge nachvollziehen, bei welchen Gelegenheiten und Anlässen wie welche Gewalt mit welcher Schwere ausgeübt wurde. Untersucht man dies genauer so stellt sich klar heraus, dass rechtsmotivierte Gewalt in aller Regel gezielter und brutaler ausgeübt wird. So enthält die Zahl der rechtsmotivierten Gewalttaten in 2009 auch mindestens eine Tötung. Seit 1990 sind 149 Tötungen durch rechts motivierte Gewalt dokumentiert.
Bernd Merling hat hierzu nachfolgendes Raster erstellt.
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linksmotivierte Gewalt | rechtsmotivierte Gewalt |
Ideologische Einordnung |
Es gibt keine ideologische Grundlage für linke Gewalt. Linke Politik zielt auf die Verbesserung der sozialen Situation und der gesellschaftlichen Verhältnisse für die breite Masse der Bevölkerung. Gewalt ist für das Ziel einer humanistischen Gesellschaft kontraproduktiv. In Teilen der Linken wird eine Veränderung der Gesellschaft durch eine (auch gewaltsame) Revolution nicht ausgeschlossen. Die Anwendung revolutionärer Gewalt setzt jedoch die Existenz einer revolutionären Situation voraus. |
Rechte Ideologie geht grundsätzlich von der Überlegenheit einer bestimmten Gruppe über andere aus. Sie beinhaltet sozialdarwinistische Elemente wonach sich der Stärkere durchsetzt und überlebt. Hinzu kommt, dass zur Erreichung der Macht eben auch Einschüchterung, Angst und Schrecken Teil der rechten Strategie ist. |
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Orte/Gelegenheiten |
In der Regel bei Demonstrationen in Auseinandersetzung mit Polizei und politischen Gegnern. Inwieweit das „Abfackeln von Autos“ tatsächlich links politisch motivierte Gewalt darstellt, ist zumindest umstritten. Auch die Bundesregierung kann die Zuordnung nicht begründen. Bei Demonstrationen kommt es auch zu Gewalt gegen Sachen z.B. brennende Mülltonnen für Blockaden |
Weniger bei Demos und Kundgebungen. Rechte Gewalt findet stärker im Alltag statt, so am Rande von Treffen von Rechten (formelle wie informelle), bei Volksfesten und Feiern.
Ebenso bei gezielten Aktionen gegen Ausländer u.a. Minderheiten.
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Ziele/Betroffene | Politische Gegner, Vertreter der Staatsmacht (Polizei), insbesondere bei Demos und Kundgebungen | Angehörige von Minderheiten, Migranten, Ausländer, fremd aussehende Menschen, Randgruppen, Politische Gegner, Einrichtungen politischer Gegner |
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Arten | Sachbeschädigung, in Kauf genommene Körperverletzung im Rahmen von Auseinandersetzungen | Sachbeschädigung, gezielte und geplante Körperverletzung und Mord |
Physische individuelle Gewalt wird aus linker Sicht grundsätzlich abgelehnt
Er betonte in seinem Vortrag, dass die Gegenüberstellung keine Relativierung oder Beschönigung irgendeiner Art und Form von Gewalt darstellen soll. Die gezielte oder in Kauf genommene Verletzung von Menschen - selbstverständlich auch von Polizisten, die bei Demonstrationen ihren Beruf ausüben - ist aus linker Sicht grundsätzlich abzulehnen.
Dem stimmten auch die Diskussionsteilnehmer zu. Und man war sich einig, dass individuelle Gewalt in unserer Gesellschaft aus linker Sicht kontraproduktiv und abzulehnen ist.
Abschließend stellte sich die Frage ob und wann Gewalt zur Durchsetzung politischer Ziele gerechtfertigt sein kann. Diskussionsteilnehmer verwiesen auf Befreiungskriege und Revolutionen wie Spartakusaufstand, Bauernkriege, französischer Revolution, amerikanischer Befreiungskrieg, Revolution von 1848, die russische Revolution usw., die als Gegenwehr gegen Unterdrückung und Ausbeutung entstanden sind und somit eine Art kollektiver Notwehr darstellten. Aber auch individuelle gewaltsame Widerstandshandlungen können durchaus gerechtfertigt sein. Als Beispiele wären hier z.B. die Attentatsversuche von Elser oder Stauffenberg gegen Hitler anzuführen.
Es wurde anhand dieser historischen Beispiele festgestellt, dass linksmotivierte Gewalt stets eine Widerstandshandlung gegen ungerechtfertigte staatliche oder anderweitige Unterdrückung mit dem Ziel der Befreiung und Verbesserung der sozialen Verhältnisse war und ist. Im Gegensatz dazu lässt sich - auch historisch - belegen, dass rechtsmotivierte Gewalt stets die bestehenden Herrschaftsverhältnisse verfestigten und zu noch mehr Unterdrückung und Ausbeutung führten und führen.
Entsprechend obenstehendem Raster und unter Berücksichtigung dieser Diskussion sind daher linksmotivierte mit rechtsmotivierter Gewalt nicht gleichzusetzen. In der Vielzahl der auch in der PMK-Statistik erfassten Straftaten sind diese nicht nur unterschiedlich motiviert, sondern auch in ihrer Schwere und in ihren Zusammenhängen völlig anders geartet.
Gewalt in revolutionärer Situation?
Dennoch ist Gewalt zur Durchsetzung politischer Ziele prinzipiell nur bei Vorhandensein einer revolutionären Situation zu rechtfertigen. Diese hat W.I. Lenin wie folgt definiert:1. „Die Unmöglichkeit für die herrschenden Klassen, ihre Herrschaft in unveränderter Form aufrechtzuerhalten; diese oder jene Krise der ‚Spitzen', Krise der Politik der herrschenden Klasse, die einen Riß erzeugt, durch den die Unzufriedenheit und Empörung der unterdrückten Klassen hervorbricht."
2. „Verschärfung der Not und des Elends der unterdrückten Klassen über das gewohnte Maß hinaus."
3. „Beträchtliche – aus den angeführten Ursachen sich herleitende Steigerung der Aktivität der Massen, die durch die Verhältnisse der Krise zur [...] selbständigen historischen Aktion herangezogen werden."
Dabei wird vorausgesetzt, dass alle drei Kriterien erfüllt sein müssen. Es besteht Einigkeit, dass eine solche Situation in der BRD nicht gegeben ist und die Anwendung von Gewalt daher nicht zu rechtfertigen ist.
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